Die Overall Equipment Effectiveness (OEE) gewinnt in der Diskussion um Produktivitätsmanagement von Anlagen an Bedeutung. Dafür gibt es vier Gründe, denen sich jeder Operations-Profi bewusst sein sollte.
Lean Produktion und Industrie 4.0 wachsen zusammen
Die schlanke Produktion sah traditionell ihre Rolle darin, auf pragmatische Art und Weise Prozessverbesserungen umzusetzen. Einfache Maßnahmen, schnelle Umsetzung, gemeinsam mit den Mitarbeitern auf dem Shopfloor. Damit, und dem Ansatz der kontinuierlichen Verbesserung, war das Konzept über 20 und mehr Jahre sehr erfolgreich.
Die Informationstechnologie war dazu in der Vergangenheit wenig kompatibel. Lange Planungs- und Umsetzungszyklen, große Budgets, Umsetzung durch Spezialisten. Mit anderen Worten: Lean und IT waren wie Feuer und Wasser.
Doch die Zeiten ändern sich gerade deutlich: Die IT hat für sich die Lean Prinzipen übersetzt – und es Scrum genannt: Agile Produktentwicklung, schnelle Iterationen, Integration des Kunden in den Entwicklungsprozess. Aus der anderen Richtung hat Lean verstanden, dass sich unter dem Eindruck der um sich greifenden Digitalisierung aller Lebensbereiche nicht länger alle Probleme mit einem Zettel und einem Stift lösen lassen. Beide Lager bewegen sich also aufeinander zu.
Keine Lean Konferenz kommt mehr ohne Beiträge zu Industrie 4.0 aus, in denen sich Lean-Berater um einen Teil des 4.0-Beratungskuchens bewerben. Wer die Szene verfolgt, kann sich dem Zusammenwachsen der Themen nicht entziehen. Und der soziale Druck tut sein Übriges. Auch Aufsichtsräte und Vorstände müssen Ihre Unternehmen auf die Entwicklung der Digitalisierung ausrichten. Neben dem externen Push gibt es also auch einen internen Pull von 4.0-Lösungen. Es geht also nicht länger anders: Lean Production und Industrie 4.0 wachsen zusammen. Damit sind Prozessingenieure auf dem Weg, Industrie 4.0 basierte OEE-Optimierungstechnologie in den Unternehmensalltag zu integrieren.
Daten rücken in den Vordergrund
Die Zeit, Investitionsentscheidungen mit Strichlisten zu begründen, sind vorbei. Und das ist nur ein Beispiel. Die Bedeutung von Daten, und um dies noch zu steigern – on-line Daten – nimmt dramatisch zu. War man vor einigen Jahren noch damit zufrieden, die OEE rückwirkend für den Monat in einem sperrigen Excel-Dokument ausweisen zu können, ist der Anspruch jetzt, dass sie on-line und in minütlicher Auflösung für die Mitarbeiter über der Anlage angezeigt wird.
Es ist ein großer Fehler zu theoretisieren, bevor man Daten hat. Unmerklich beginnt man Fakten zu verdrehen, um Theorien zu entsprechen, statt Theorien, die den Tatsachen entsprechen. – Arthur Conan Doyle, Sherlock Holmes
Und die Technologie gibt es her. Am Tag 250.000 Flaschen abzufüllen und die Daten nicht nur in dieser Auflösung zu speichern sondern auch auswerten zu können, ist nicht mehr Firmen wie Google oder IBM vorbehalten: Cloud Applikationen und Big Data Algorithmen sei Dank. Darüber hinaus nimmt die künstliche Intelligenz Anlauf, um Muster in den riesigen Datenmengen zu erkennen, die dem Menschen verborgen bleiben. Dass eine Anlage alle 43 Minuten einen Einbruch des Leistungsfaktor von 4 % hat, war in der Vergangenheit nicht transparent. Zukünftig ist dies der Einstieg in einen KAIZEN-Workshop.
Kosten für industrielle Lösungen sinken
Eine Vielzahl von Start-Ups rüttelt an den Geschäftsfeldern der traditionellen Fabrikausrüstern wie Siemens, Kuka und Co. Hohe Entwicklungsgeschwindigkeiten bei schnellen Managemententscheidungen lassen sie nah am Kunden sein. Social Media Marketing, Start-Up-Wettbewerbe oder Speeddating Events ermöglichen einen preiswerten Marktzugang. Und die Lösungen halten dem industriellen Anspruch stand, bei gleichzeitig höherem Innovationsgrad. In vielen Vorstandsetagen ist es inzwischen sogar hip, mit Start-Ups zu arbeiten.
Für die OEE holen sich IoT-Gateways und mobile Sensoren alle erforderlichen Anlagendaten, ohne dabei in die Anlage einzugreifen zu müssen. Kein Hersteller kann die Gewährleistung einschränken, kein Unternehmen benötigt SPS-Programmierer, um an die Daten zu kommen. Und keine IT-Abteilung muss im Rechenzentrum ein Programm installieren und betreiben. Die Cloud stellt die virtuelle Infrastruktur zur Verfügung.
Darüber hinaus kommt der Wunsch nach einer guten User-Experience von Software auf dem Shopfloor an. Wenn jeder Mitarbeiter privat ein Smartphone in der Tasche hat, sinkt die Toleranz für blinkende grüne Kästen auf einem sonst schwarzen Bildschirm und die Navigation mit der Tab-Taste. Auch hier muss man Mitarbeiter motivieren, auch hier will man modern sein.
Und die Entscheidungskultur in den Unternehmen ändert sich auch: Kostet ein Siemens Mobile Panel mindestens 2.500 €, tut es für die Eingabe von Störgründen auch ein Android Tablet von Mediamarkt. Fällt es runter, kauft man ein Neues. Noch vor einigen Jahren undenkbar, jetzt in vielen Unternehmen als pragmatisch beurteilt und deshalb an der Tagesordnung.
Die Zeiten, in denen man eine Betriebsdatenerfassung langwierig installieren und mit allen Anlagen verbinden musste, sind vorbei: Kosten runter, Umsetzungsgeschwindigkeit rauf.
Produktivitätsfortschritte werden dringend benötigt
Die aktuelle Lage der industriellen Produktion ist phenomenal. Der Auftragsbestand ist der höchste in der industriellen Geschichte. Und der Trend scheint bis auf weiteres ungebrochen. Die Bundesregierung und alle Wirtschaftsforschungsinstitute sehen auch mittelfristig kein Abflauen der Wachstumskurve. Trotz vielfältiger Turbulenzen in der Weltpolitik scheint die Nachfrage stabil aufwärts zu gehen.
Als Konsequenz verzeichnen Fabrikausrüster, insbesondere im Maschinen- und Anlagenbau, deutlich wachsende Lieferzeiten. Hat man selbst mit steigenden Lieferzeiten in Richtung Kunden zu kämpfen, ist es in der aktuellen Situation keine attraktive Lösung, neue Maschinen zu bestellen. Die Lieferzeiten sind schlicht zu lang. Diese Situation hält den Druck auf der Steigerung des Outputs des vorhandenen Equipments, und damit auf der OEE – was eigentlich sowieso das erste Mittel der Wahl sein sollte.
Zeitgleich berichtet McKinsey, dass es auf der Ebene der Volkswirtschaften immer schwerer fällt, Produktivitätsgewinne zu erzielen bzw. dass sie nicht mehr existent sind. Was für ein Land gilt, muss nicht auch für ein Unternehmen gelten. Aber in Summe wird die Luft dünner. Und dann gibt es noch den Megatrend der Arbeitskräfteknappheit. Schon jetzt ist qualifiziertes Produktions- und Instandhaltungspersonal in vielen Teilen Deutschlands die Wachstumsbremse schlechthin. Der Trend der Bevölkerungsentwicklung wird dies langfristig nur noch verschärfen.
Dieser Artikel erschien zuerst am 20.05.2018 auf LinkedIn.