Predictive Maintenance Programme zur Steigerung der Anlagenproduktivität sind ein Modetrend der aktuellen Zeit. Die Zweifel an diesem Ansatz mehren sich jedoch. Die Anlagen- und Prozessdaten zentral verfügbar zu haben ist fraglos richtig. Es gibt jedoch einen besseren und umfassenderen Ansatz, um aus der Investition in Informationstechnologie daraus Nutzen zu ziehen.
Das Versprechen von Predictive Maintenance ist verlockend: Mit Technologien des maschinellen Lernens in historische Leistungs-, Stillstands- und Sensordaten Zusammenhänge zwischen Störungen und Ursachen zu finden, um damit vorherzusagen, wann eine Anlagenkomponente ausfallen wird, um diese kurz for diesem Defekt proaktiv auszutauschen. Ziel ist es, ungeplante Ausfälle in geplante Stillstände zu verwandeln und auf diese Weise die Anlagenproduktivität zu steigern.
Auf den ersten Blick erscheint das Vorgehen als eine lohnenswerte Innovation in nahezu allen produzierenden Maschinen. Doch kann dieses Versprechen eingelöst werden?
Analysiert man die Situation tiefer, reduziert sich das Optimierungspotential durch Predictive Maintenance abhängig von 4 Faktoren:
- Zu wenig Sensoren: Vorhergesagt werden kann nur, wovon auch detaillierte Daten vorliegen. Jedoch können viele technische Defekte auch an Bauteilen vorliegen, die keiner Sensorüberwachung unterliegen.
- Zu wenig Daten: Defekte vorherzusagen ist schwieriger als man vielleicht denkt. Defekte einzelner Anlagenteile sind nur sehr seltene Ereignisse, was heisst, dass typischerweise nicht genug Daten für das Training eines verlässlichen Modells des maschinellen Lernens vorliegen.
- Zu wenig Auswirkung: Anlagendefekte reduzieren zwar die OEE, jedoch kann auch mit physischer oder planerischer Redundanz, einer geschickten Ersatzteilstrategie und zügig verfügbarem und qualifizierten Personal die Stillstandszeit einer Anlage bei einem technischen Defekt kurz gehalten werden.
- Zu starker Fokus: Schaut man auf eine Verteilung alle Anlagenverluste, so sieht man neben den technischen Defekten auch weitere Verfügbarkeitsverluste wie beispielsweise organisatorische Störungen (kein Personal, kein Material, warten auf Q-Freigabe…), Leistungsverluste wie beispielsweise Langsamfahrten oder Qualitätsverluste als Zeiten suboptimaler Produktivität. Diese Verluste stellen im Regelfall die deutliche Mehrheit der Produktivitätsverluste, so dass die Bedeutung der technischen Defekte in den Hintergrund tritt.
Aus einem oder mehreren dieser vier Gründen bleiben die Erwartungen an Predictive Maintenance Projekte häufiger hinter der Realität zurück.
Bedeutet das, dass die produzierende Industrie kein Einsatzfeld für datengetrieben Produktivitätsinitiativen ist? Nein, ganz im Gegenteil. Jedoch ist der enge Fokus auf die Vorhersage von zukünftigen technischen Defekten üblicherweise* nicht der richtige Ansatz. Stattdessen erscheint der umfassende Ansatz der Analyse und Optimierung der OEE-Verluste im Sinne eines gezielten OEE-Managements erfolgsversprechend.
Dafür müssen in den Kategorien der Verfügbarkeits-, Leistungs- und Qualitätsverlusten die Störgrundursachen i.S.v. der Abweichung vom Ideallauf der Anlage klassifiziert werden. Ein kleiner Teil der Daten kann aus der Anlagensteuerung geliefert werden, der Großteil der Klassifizierungen ergibt sich jedoch aus dem Domänenwissen des Bedieners. Die folgende Abbildung gibt Aufschluss über die Struktur:
Mit einem transparenten Berichtswesen über die so erfassten Daten kann schon ein großer Beitrag zur Fokussierung von Verbesserungsaktivitäten und damit zur Steigerung der Anlagenproduktivität geleistet werden. Darüber hinaus können mit künstlicher Intelligenz, was in der Regel maschinelles Lernen ist, oder auch Statistik in diesem Datenstrom interessante Erkenntnisse über Muster und Anomalien für die Möglichkeiten der Steigerung der Anlagenproduktivität gewonnen werden:
- Gruppierung von Häufigkeit/Dauer von Verlustursachen
- Identifikation von Zeiträumen mit Häufung/Abwesenheit von Verlusten
- Identifikation von anomalen (z.B. i.S.v. besonders lang oder kurz) Verlusten
- Identifikation zyklischer Anwesenheit von Verlusten
- Bestimmung der Rüstqualität eines Umbaus
- Berechnung einer Kennzahl zur Laufstabilität bzw. Identifikation von Zeiträumen stabiler bzw. unstabiler Anlagenlauf
- Identifikation einer temporären Abweichung vom längerfristigen Störungstrends
Werden ausgewählte Analysen davon on-line durchgeführt, kann sogar in den Betrieb eingegriffen werden, noch während die Störung existent ist. Beispielsweise kann ein nach Beurteilung des Algorithmus ungewöhnlich langer Stillstand identifiziert und an eine Führungskraft gemeldet werden, damit diese sich einen persönlichen Eindruck verschafft und situationsbedingt Maßnahmen einleitet.
Angereichert werden kann dies bei Bedarf mit Sensordaten, die üblicherweise für die vorhersagende Instandhaltung erfasst werden: Schwingungen, Temperatur, Drücke o.ä. in Zusammenhang mit Verfügbarkeit-, Leistungs-, und Qualitätsverlusten setzen. Diese Daten sind dann jedoch nur eine Ergänzung zur weiteren Verfeinerung der Methodik. Also eher die Kirsche auf der Torte als die Torte selbst.
Allen Analysen ist gemein, dass die Technologie den Hinweis auf die Optimierungsmöglichkeit gibt, der Mensch auf Basis dieser Daten jedoch entscheiden und gezielt handeln muss.
Das Potential der datengetriebenen Prozessverbesserung geht damit weit über Predictive Maintenance hinaus. Für produzierende Unternehmen gibt es mit dem OEE-Management digitale Optimierungsansätze, die einfacher zu implementieren sind und einen größeren Mehrwert bieten. Warum sich also mit dem ausschließlichen Fokus auf vorhersagende Instandhaltung in seinen Möglichkeiten begrenzen?
* Zur Vermeidung von Missverständnissen: Natürlich gibt auch lohnenswerte Einsatzfälle für Predictive Maintenance Technologien z.B. in sicherheitsrelevanten Umfeldern (Flugzeugtriebwerke) oder bei Stillständen mit enormen Folgekosten (Off-Shore Windkraftanlagen, chemische Anlagen).